Netzpräsenz von Wolfgang Pöllinger

Ein bevorstehender Besuch der Wachtturm‐Anhänger führte dazu, mich mit dem Thema der Synchronisation der Chronologien verschiedener Kulturen zu beschäftigen. Hier ist im besonderen Augenmerk auf die Abfolge deren Könige gelegt, also die Babylons, Ägyptens und Israels.

Wir bedienen uns hierbei bequemerweise sogar der wachtturmeigenen Literatur, soweit sie mit den wissenschaftlich erwiesenen Daten übereinstimmt. In den „Einsichten über die heilige Schrift“ (it‐X) sind folgende babylonischen Könige so aufgeführt:

Nabupolassar nur als Referenz unter Nebukadnezar und ohne zeitlichen Bezug. Was ist so brisant, diesen wichtigen König in it‐X zu verschweigen?
Nebukadnezar mit um 20 Jahre vorgezogenen Zeitangaben.
Ewil‐Merodach ist um 19 Jahre zu früh verzeichnet.
Neriglissar (unter dem akkad. Namen Nergal‐Sarezer) ist vage ausformuliert und ohne Zeitangabe.
Labaschi‐Marduk wird nur im Artikel über Nabonid und ohne eigene Zeitangabe erwähnt.
Nabonids Angaben stimmen auch im Zeitlichen, aber Bezugnahmen auf früher lebende Personen sind wieder um ca. 20 Jahre verschoben.

In der gesamten wachtturmeigenen Literatur wird an vereinzelten Stellen der Eindruck erweckt, es müsse einen weiteren Herrscher gegeben haben, der 20 Jahre lang regierte.

In dieser Königsliste von drei antiken Reichen (dem babylonischen, dem ägyptischen und dem israelitischen) tauchen immer wieder Bezugnahmen zu astronomischen Ereignissen auf. Wer sich einen Vorgeschmack dieser faszinierenden Wissenschaft der Archäoastronomie verschaffen will (besonders natürlich über die bekannteste Keilschrifttafel VAT 4956), lese einfach meine Seite Betrachtung – Keilschrifttafeln durch.

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Könige in Babylon

Kandalanu

Mondfinsternis am 15. Simanu (23./24.5.) 632 v. u. Z. (BM 35115)

Sin‐šumu‐lišir und Sin‐šar‐iškun (SS)

Keine besondere Interaktion mit Ägyptern oder Israeliten, zusammen etwa ein Jahr Regierungszeit

Nabopolassar

Beginn des 1. Regierungsjahres Nabopolassars am 1. Nisan 625 v. u. Z.
Einnahme Ninives 612 v. u. Z. (BM 21901)
Zerstörung von Harran im 16. Regierungsjahr, ab Arahsamna oder November 610 v. u. Z. während drei Monaten
Rückkehr des letzten Assyrerkönigs Aššur-Uballit im Du’uzu des 17. Regierungsjahres Nabopolassars mit einem großen ägyptischen Heer gegen Harran (BM 21901, ABC 3)
Totale Mondfinsternis im 17. Regierungsjahr am 14. Ululu oder −608-09-03T21:21 (BM 32234)
21. Regierungsjahr ist das 4. Regierungsjahr Jojakims, Sieg gegen Pharao Necho II. bei Karkemisch (Jer 46:2)
Nabopolassar verstarb am 8. Abu oder 8. August 605 v. u. Z. (greg.)

Nebukadnezar II.

Krönung am 1. Ululu oder 31. August 605 v. u. Z. (greg.)
Beginn des 1. Regierungsjahres Nebukadnezars am 1. Nisan 604 v. u. Z.
Nebukadnezar machte irgendwann im 4. Regierungsjahr Jojakim zum Vasallen (2Kö 24:1)
Partielle Mondfinsternis im 5. Regierungsjahr Nebukadnezars −598-02-19T22:09 (BM 38462)
Nebukadnezar führte Jojachin in Gefangenschaft am 2. Adar des 7. Regierungsjahres (2Kö 24:12, BM 22047, ABC 5); Zedekia zum König über Juda eingesetzt (2Kö 24:17)
Zerstörung Jerusalems am 7. Ab des 19. Regierungsjahres (2Kö 25:8)
Astronomische Konstellation vom 1. Ajaru des 37. Regierungsjahres (VAT 4956, Vorderseite, Zeilen 8–10)
Astronomische Konstellation vom 1. Simanu des 37. Regierungsjahres (VAT 4956, Vorderseite, Zeilen 12–14)
Astronomische Konstellation vom 12. Addaru des 37. Regierungsjahres (VAT 4956, Rückseite, Zeilen 16–18)

Ewil‐Merodach (Ewil‐M.)

Beginn des 1. Regierungsjahres Ewil‐Merodachs am 1. Nisan 561 v. u. Z.
Ewil‐Merodach erwies Jojachin im 37. Jahr der Gefangenschaft Gunst (it‐1‐X, S. 702; 2Kö 25:27; Jer 52:31)

Neriglissar

Beginn des 1. Regierungsjahres Neriglissars am 1. Nisan 559 v. u. Z.

Labaschi‐Marduk (LM)

Beginn des 1. Regierungsjahres Labaschi‐Marduks am 1. Nisan 556 v. u. Z.

Nabonid

Beginn des 1. Regierungsjahres Nabonids am 1. Nisan 555 v. u. Z.
Partielle Mondfinsternis im Ululu oder −553-09-26T01:23
Einnahme Sippars und Babylons am 15. und 16. Tischri 539 v. u. Z. (Nabonid‐Chronik) und Ermordung Nabonids am 16. Tischri 539 v. u. Z. (it‐2‐X, S. 409). Dramatischer Niedergang Babylons binnen einiger Tage, danach Übernahme des Reiches durch Medo-Persien.

Kyros II. (K)

Übernahme der Macht, kurz danach Aufbruch nach Ekbatana noch vor dem 1. Nisan 538 v. u. Z.

Darius II.

Beginn des 1. Regierungsjahres Darius’ am 1. Nisan 538 v. u. Z.

Kambyses II.

Beginn des 1. Regierungsjahres Kambyses’ am 1. Nisan 529 v. u. Z.
Partielle Mondfinsternis im 7. Regierungsjahr am 14. Du’zu oder −522-07-16T20:32 (BM 33066)

Könige in Ägypten

Psammetich I.

Necho II.

Erste Verlautbarung am 12. Peret IV, ca. 24. August 610 v. u. Z. (greg.)
1 Monat später partielle Sonnenfinsternis vom 12. Schemu I, ca. −609-09-15T21:40 (Papyrus Berlin 13588)
Verteidigung Harrans zusammen mit dem Assyrerkönig Aššur‐uballit II. gegen Nabopolassar ab Arahsamna 610 v. u. Z.
Erneuter Aufbruch zum Euphrat im Juni 609 v. u. Z., Josia bei Karkemisch getötet (2Kö 23:29, 2Ch 35:24)
Necho II. setzt Jehoahas im Herbst 609 v. u. Z. ab und setzt Jojakim ein (2Kö 23:33–34)
Necho II. war spätestens Anfang August 605 v. u. Z. von Nebukadnezar II. zurückgeschlagen, da jener zur Inthronisierung zurückreiste; 1. Jahr Nebukadnezars II. mit 4. Jahr Jojakims gleichgesetzt (Jer 46:2)
Letzte Schlacht zwischen Nebukadnezar II und Necho II. ab Kislimu 601 v. u. Z.

Psammetich II.

Keine besondere Interak�tion mit Babyloniern oder Israeliten

Apries (Hophra)

Versuch im Jahr 588 v. u. Z., die Belagerung Jerusalems durch Nebukadnezar II. zu beenden
Feldzug gegen Kyrene im Jahr 571 v. u. Z. und Aufstand fast der ges. ägypt. Armee, deshalb Verlust der Regentschaft an Heerführer Amasis

Amasis

Weitere Schlacht zwischen Amasis und Apries 569 v. u. Z. bei Momemphis
Kampf gegen Nebukadnezar II. 568 v. u. Z.
Letzte Schlacht gegen Apries 567 v. u. Z.
Bündnis mit Lydiens König Krösus und Babylons König Nabonid gegen Persien 542 v. u. Z.
Bündnis mit Polykrates von Samos 538 v. u. Z.
Feldzug gegen Nubien im 40. Regierungsjahr 529 v. u. Z. (demotische Schrift)

Psammetich III. (P)

Krieg gegen Kambyses II. 525 v. Chr. bei Pelusion verloren

Könige in Israel

Josia

Zum Ende der 31jährigen Regierung Josias im Juni 609 v. u. Z. bei Karkemisch durch Necho II. getötet (2Kö 23:29, 2Ch 35:24)

Jehoahas

Nach drei Monaten (verm. bis Sept. 609 v. u. Z., 2Kö 23:31) als König von Necho II. abgesetzt, nach Ribla und später nach Ägypten verschleppt (2Kö 23:33–34, 2Ch 36:2)

Jojakim

Einsetzung als König durch Necho II. verm. September 609 v. u. Z., regierte 11 Jahre (2Kö 23:34, 36)

Jojachin

Kapitulation vor Nebukadnezar II. im Adduru dessen 8. Jahres nach 3 Monaten und 10 Tagen der Regierung Judas (2Kö 24:8–12, BM 22047)

Zedekia

Einsetzung Mattanjas am 2.Addaru 598 v. u. Z. durch Nebukadnezar II. und Umbenennung in Zedekia (2Kö 24:18)
1½jährige Belagerung Jerusalems durch Nebukadnezar II. ab dem 10. Tebetu 589/588 v. u. Z. (2Kö 25:1, Jer 39:1)
Erstürmung Jerusalems durch Nebukadnezar II. am 9. Du’uzu oder 23. Juli 587 v. u. Z. (greg.) (Jer 39:2)
Zerstörung des Tempels durch Nebusaradan am 7. Abu oder 20. August 587 v. u. Z. (greg.) im 18./19. Regierungsjahr Nebukadnezars II. (2Kö 25:8, VAT 4956) und Beginn der 70jährigen Verödung Israels (2Ch 36:21)

Nachexilisches Reich ohne Könige

Eintreffen der ersten Israeliten in Jerusalem, die von Darius II. aus dem einstigen babylonischen Exil entlassen wurden
Beginn der erneuten Opfergaben an Jehova am 1. Tischri 537 v. u. Z. (Esr 3:6)
Fertigstellung des zweiten Tempels um 515 v. u. Z. (it‐2‐X, S. 1104) oder etwas früher und damit Ende der 70jährigen theokratischen Verödung Israels seit dem 7. Ab 587/586 v. u. Z. (2Ch 36:21)

Wie aus der oben gezeigten Tabelle ersichtlich ist, verschiebt die WTG die Regierungsspannen der babylonischen Könige Nebupolassar bis Belsazar um zwanzig Jahre in die Vergangenheit. Daß damit eine Überdeckung zum Vorgänger Nabopolassars und eine Regierungslücke zu Nabonid entsteht, ist für sie ein unlösbares Problem. Logischerweise erwähnt sie das in der eigenen Literatur nicht explizit. Die WTG muß aber daran festhalten, da sonst 607 v. u. Z. als Beginn der 2520 Jahre nicht zu halten wäre und damit die eingebildete Legitimation als Gottes Mitteilungskanal wegfiele.

Selbstverständlich ist der WTG bekannt, daß sie falsch liegt und daß es einfach ist, im Datennetz an die richtigen Fakten zu kommen. Dafür sorgen schon Leute wie ich, die ohne Not schlecht behandelt werden und sich deshalb zu wehren beginnen. Deshalb versucht sie, ihre Angehörigen davon abzuhalten, das Datennetz zu nutzen.

Auch diverse Bücher – ganz besonders natürlich die beiden von Raymond Franz verfaßten Bücher Der Gewissenskonflikt und Auf der Suche nach christlicher Freiheit sind ihr ein Dorn im Auge. Raymond Victor Franz war der Neffe des damaligen WTO‐Präsidenten Frederick William Franz und beide waren langjährige Mitglieder der leitenden Körperschaft, also der „Chefetage“. Daß Raymond aus auch hier wieder einmal fadenscheinigen Gründen ausgeschlossen wurde, war für ihn Grund genug, sich kritisch mit den Lehren der Gesellschaft zu beschäftigen, forschte dabei u. a. auch bei Abraham Sachs über eine mögliche Verschwörung der ganzen antiken Geschichtsschreibung gegen die Neuzeit nach und stellte fest, daß 607 v. u. Z. nicht zu halten war.

Sehr viele Details über die unchristlichen und repressiven Machenschaften der 1980er Jahre in der Brooklyner Zentrale hat Raymond Franz in Der Gewissenskonflikt ausgeplaudert, wodurch diese superfeine Gesellschaft in schwere Erklärungsnot gegenüber ihren Mitgliedern kam. Um für Ruhe in der Herde zu sorgen, ging man den Weg des geringsten Widerstandes: Man verbot und ächtete dieses Buch! Jeder Älteste wurde seinerzeit instruiert, bei seinen Schäfchen in Erfahrung zu bringen, ob sich dieses Buch im Haushalt befände oder über seinen Inhalt untereinander diskutiert würde. Bespitzeleien, wüste Anschuldigungen und peinliche oder inquisitionäre Befragungen waren an der Tagesordnung. Falls jemand auch nur im Verdacht stand, es zu besitzen, folgte die Ächtung desjenigen. Es war eine Zeit der Angst.

Heute kann die Wachtturm‐Gesellschaft bei weitem nicht mehr so despotisch mit seinen Mitgliedern umspringen oder die Wahrheit verdrehen. Dafür haben wir Raymond Franz und vielen anderen Aussteigern zu danken. Auch das weltweite Datennetz sorgt (wo man darauf zugreifen kann) für Transparenz.